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Die Erinnerung des Tages

… und schon wird das Leben leichter und heller

Kürzlich las ich in der Zeitung, dass in zahlreichen Brandenburger Betrieben immer wieder Probleme bei der Arbeit zwischen alten und jungen Beschäftigten auftreten. Was mich eigentlich nicht sehr verwundert, denn schon im familiären Alltagsleben gibt es heute kaum noch direkte und ständige Berührungspunkte zwischen alten und jungen Familienmitgliedern.

In meiner Kindheit wohnten ab 1957 drei und später dann in meiner Jugendzeit vier Generationen in einem Haus zusammen, von meiner Großmutter bis zu unseren Kindern, also ihren Ur-Enkeln. Natürlich traten da auch Meinungsverschiedenheiten auf. Und ziemlich schnell kamen allen Seiten zu der Erkenntnis: Wollen sie gut zusammenleben und gemeinsam etwas erreichen, heißt es, dem anderen zuzuhören und einzugestehen, dass er oder sie etwas anders macht, was man sich mal in aller Ruhe ansehen sollte und vielleicht ist das sogar besser, aber selbst kann man es nicht. Also muss man es sich zeigen lassen. Die Alten können von den Jungen, die Jungen von den Alten lernen.

Spontan kam mir die folgende Erinnerung:
Auf der Wiese in unserem Garten standen an ihren vier Ecken Metallpfosten, die zum Befestigen der Wäscheleinen dienten. Die vier Leinen blieben immer an den Haken, auch wenn kein Waschtag war. Vor dem Benutzen wischte Oma sie mit einem Lappen sauber. Wenn mal viel Wäsche angefallen war, wurde eine fünfte Leine quer über die Wiese gezogen. Diese war länger als die anderen und hing dadurch weiter nach unten durch. Mit mehreren Wäschestützen (das waren in der Regel lange stabile Äste mit einer Astgabel an der Spitze) wurde sie abgestützt und nach oben gezogen.

An die Leine, die im Moment mehr Sonne abbekam, hing Oma die weiße Wäsche, am Rand die kleinen Teile, in der Mitte die großen, die dann durch das Anheben der Leine mittels der Wäschestützen weiter in den Wind hineingelangten. Alle Hemden, alle Schlüpfer usw. wurden nach Wäscheart und von klein zu groß und nach Farben angeordnet. Diese strikte Ordnung war für Oma sehr wichtig. Das war sozusagen eine Symphonie, die sie mit der Wäsche spielte. Als Oma das dann aus Altersgründen nicht mehr konnte, mussten wir Jungen die Erledigung dieser Aufgabe übernehmen.

Ich habe noch heute das Bild vor meinen inneren Augen, wie Oma in der Mitte der Wiese steht, auf ihren Gehstock gestützt, und mir, dann schon eine junge Frau, die Anweisung gibt, was ich wie und wo aufzuhängen hätte. Nicht selten ergab sich dabei ein Disput zwischen uns, wenn ich, um den Platz auf einer Leine besser ausnutzen zu können, zwischen Pullover beispielsweise einzelne Socken anklammerte. Dieses Bild schien ihr scheinbar, körperliche Schmerzen zu bereiten. Was ich damals überhaupt nicht verstand und mich eigentlich nur zum Kopfschütteln brachte. Denn trocknen würde ja eine Hose schließlich auch zwischen Socken und Laken. Jetzt gibt es in meiner Waschmaschine einen Trockner, so dass ich die fertige Wäsche in der Regel nur noch zusammenlegen muss. Nun schon selbst zur alten Generation gehörend, kann ich Omas Ziel wirklich nachvollziehen. Heute weiß ich, dass man eine notwendige und mühevolle und vielleicht auch stupide Arbeit mit einem eigenen Anspruch erledigen sollte und dass man dann inneren Stolz und Befriedigung auf das Vollbrachte empfinden kann. Und schon geht alles leichter und schneller von der Hand.

Oma und die Wäscheleine

Das Foto zeigt meine Mutter, die hier sichtbar die Wäsche auch nicht nach der alten Ordnung zum Trocknen in die Sonne hängt. Oma hätte das vom Balkon aus gesehen haben können. Sicherlich hätte sie dann ihren Kopf geschüttelt, resignierend mit den Schultern gezuckt und laut gesagt:
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“